100 Jahre Lebensrettung und Naturschutz

Seit 1923 steht die Hindelanger Bergwacht rund um die Uhr für Rettungseinsätze parat – Große Jubiläumsfeier am 24. Juni

Bad Hindelang (dk). In ihrem Gründungsjahr 1923 hatte die Hindelanger Bergwacht vor allem einen Auftrag – die heimische Flora und Fauna schützen. Es galt, die Natur zu bewahren vor Wanderern und Bergsteigern, die es auf dem Weg zum Gipfel oder beim Abstieg mit der Müllentsorgung und dem Artenschutz nicht so genau nahmen oder die beim Aufenthalt in Berghütten die Begriffe „Freiheitsliebe“ und „Vandalismus“ verwechselten. „In den Chroniken wird sogar von Edelweißjägern berichtet“, sagt Christian Waibel, Schriftführer der Bergwacht Hindelang. „100 Jahre später haben sich die Hauptaufgaben umfassend verändert“, fügt Bereitschaftsleiter Urban Blanz hinzu. Im Jubiläumsjahr 2023 sind die Hindelanger Bergretter und ihre Allgäuer Kameraden vor allem eines: Lebensretter. Das wird am Samstag, 24. Juni, in Bad Hindelang groß gefeiert.

„Die ehrenamtliche Arbeit der Hindelanger Bergwacht und ihrer Kameraden aus Unterjoch und Hinterstein ist für Bad Hindelang von essenzieller Bedeutung. Die tägliche Einsatzbereitschaft von Frauen und Männern aller Generationen sichert uns als Gemeinde und beliebter Ferienort einen nicht unerheblichen Teil unseres touristischen Angebots. Denn es muss jedem klar sein: Ohne eine gut ausgebildete Bergrettung wären Wandern, Bergsteigen oder Skifahren in diesem großen Umfang nicht möglich“, sagt die Bad Hindelanger Bürgermeisterin Dr. Sabine Rödel.

Die Idee für ein Rettungsteam hatte in den 1920er-Jahren Josef Herz. Weil der damalige „Bärenwirt“ dem Bergvandalismus und Naturfrevel Einhalt gebieten wollte und zudem eine stetige Zunahme von Berg- und Skiunfällen im beschaulichen Ostrachtal erkannte, machte er Nägel mit Köpfen: Herz gründete im Sommer 1923 mit weiteren Männern kurzerhand eine alpine Rettungsstelle des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, aus der die Hindelanger Bergrettung hervorging.

„Die Geschichten und Bilder aus den historischen Aufzeichnungen machen deutlich, wie strapaziös und zeitraubend die Rettungseinsätze seinerzeit waren – vor allem im Winter. Zumal es für eine winterliche Bergung nur die behelfsmäßige Skiverschraubung gab und einen für Tiefschnee völlig ungeeigneten Schlitten“, sagt der Bereitschaftsleiter der Hindelanger Bergretter, Urban Blanz.

Als unverzichtbares Hilfsgerät in der Not entpuppte sich in dieser Zeit ein Akja – ein wannenförmiger Schlitten. Hindelanger Bergretter hatten den Akja als Soldaten im II. Weltkrieg in tiefverschneiten finnischen Wäldern als ideales Transportmittel kennengelernt und wussten verlässlich, dass der tiefe Schwerpunkt leichtes Gleiten im Tiefschnee möglich machte. Verletzte konnten somit besser in schonender Lage transportiert werden. Um den Transport zur Unfallstelle und zurück zu erleichtern, bauten pfiffige Konstrukteure in Bad Hindelang ab 1946 zunächst einen in der Längsachse zerlegbaren Prototypen und später weitere Schlitten dieser Art.

„Kein leichtes Unterfangen – schon alleine die Materialbeschaffung war sehr mühsam und kompliziert. So musste der heimische Schreinermeister Mathias Sommerauer seinerzeit hunderte Kilometer durchs Oberallgäu radeln, um bei mehreren Schreinerkollegen das benötigte Sperrholz zu beschaffen“, zitiert Bereitschaftsleiter Urban Blanz aus der Chronik. Es ist eine Geschichte von vielen, die die Rettungsorganisation bis heute sichtbar lebendig erhält – ein im Original erhaltener Holz-Akja ziert die 2012 erbaute Bergrettungswache in Bad Hindelang.

Mit dem Aufblühen des deutschen Wirtschaftswunders verbesserten sich die Rahmenbedingungen auch für die Bergretter. Kurz vor Weihnachten 1961 kam in Bad Hindelang erstmals ein Hubschrauber bei einem Rettungsversuch von zwei jungen Männern zum Einsatz, an dem bei schwierigsten winterlichen Bedingungen am Gipfel des „Großen Daumen“ zahlreiche Bergretter mehr als 19 Stunden um das Leben der Männer kämpften, von denen letztlich nur einer überlebte. „Weil die Bergung des toten Ski-Wanderers mit dem Hubschrauber nicht gelang, stieg tags darauf eine 8-köpfige Mannschaft aus Bad Hindelang nochmals auf und barg den Mann mit vereinten Kräften“, so Urban Blanz.

Trotz der großen Trauer über den toten Bergkameraden gab es bei diesem Einsatz neben der Hubschrauber-Premiere einen weiteren technischen Lichtblick: Erstmals hatten die Hindelanger Bergretter ein zweites Funkgerät im Einsatz. Eine echte Errungenschaft, da das bis dahin einzige verfügbare Gerät bei Einsätzen ausschließlich über die Bergwacht-Funksprech-Feststation Oberstdorf verwendet werden konnte. Die Bergwachtleitung konnte also lediglich mittels „Funk-Draht-Vermittlung“ nach Oberstdorf telefonieren und so mit den Männern am Berg kommunizieren. Dank der Unterstützung der Marktgemeinde, Spenden und eines Zuschusses der Bergwacht Allgäu konnte ein weiteres Funkgerät gekauft werden, das mit 2.649,75 Deutsche Mark für damalige Verhältnisse jedoch extrem teuer war. Und: Das dazugehörige Ladegerät verschlang weitere 350 D-Mark.

„Die Marktgemeinde Bad Hindelang wird die große Wertschätzung und Anerkennung, die sich unsere heimischen Bergretter unter Einsatz ihres Lebens in 100 Jahren mehr als redlich verdient haben, weiter aufrechterhalten. Wir werden alle drei Bergwachten der Gemeinde Bad Hindelang auch in Zukunft aktiv dort unterstützen, wo es erforderlich ist. Das ist das Mindeste, was wir tun können für ehrenamtliche Retter, die sich immer häufiger in Gefahr begeben müssen, um Leben zu retten“, so die Bad Hindelanger Gemeindechefin Dr. Sabine Rödel.

Die Zahl der Einsätze hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen: Waren es 1995 noch 100 Einsätze, musste die heimische Bergwacht 2005 bereits mehr als 300-mal ausrücken. Im Zeitraum von 2015 bis 2022 – die Corona-Jahre 2020 und 2021 ausgenommen – sind im Durchschnitt 350 Einsätze dokumentiert.

Das Dienstgebiet der Hindelanger Bergwacht – im Ort gibt es für die Ortsteile Unterjoch und Hinterstein zwei weitere Rettungsteams – reicht vom Iseler, Breitenberg und Daumen über den Hindelanger Klettersteig, das Imberger Horn und den Spieser bis zur österreichischen Grenze. Dazu gehören auch das Skigebiet Oberjoch sowie die Hornbahn Hindelang mit ihren Rodel- und Bike-Routen. Die Bandbreite der Einsätze reicht von gestürzten Wanderern, Bergsteigern, Kletterern oder Mountainbikern bis hin zu verunglückten Gleitschirmfliegern, Canyoning-Teams, Landwirten oder Waldarbeitern.

Fragen nach dem spektakulärsten Einsatz beantwortet Bereitschaftsleiter Urban Blanz ungern: „Für uns ist jeder Einsatz besonders, den Begriff spektakulär verwenden wir nie“, sagt er und fügt ergänzend hinzu: „Routine gibt es selten, wir wissen nie, was auf uns zukommt. Müssen wir einen Verletzten von einem Wanderweg oder aus einer Kletterwand bergen, handelt es sich um einen Unbekannten oder einen Freund, sind womöglich Kinder verunglückt. Bei jedem Einsatz ist das Team als Einheit sowie jeder einzelne Retter aufs Neue gefragt.“

Im Jubiläumsjahr 2023 verfügt die Hindelanger Bergwacht über 36 aktive Rettungskräfte, von denen viele weitere zusätzliche Ausbildungen haben zum Ausbilder, Jugendleiter, Einsatzleiter, Luftretter, Rettungssanitäter, Notarzt oder psychosozialen Notfallversorger. Das Team komplettieren sechs Anwärter und derzeit acht Jugendliche – eine Ausbildung ist ab dem Alter von 16 Jahren möglich.

Unter den Mitgliedern sind aktuell fünf Frauen, denen es erst seit Anfang der 1990er Jahre erlaubt ist eine Ausbildung bei der Bergwacht zu absolvieren. Bereitschaftsleiter Urban Blanz: „Es freut uns sehr, dass die Anzahl der weiblichen Mitglieder stetig zunimmt und fänden es großartig, wenn noch mehr Frauen den Weg zur Bergwacht Hindelang finden würden. Unterschiede gibt es bei uns nicht – alle machen dieselbe Arbeit und jeder hilft jedem.“  

 

Chronologie der Bergwacht Hindelang

- 1923 Gründung mit dem Ziel: Schutz von Flora und Fauna


- 1925 Gründung Gebirgsunfalldienst in der Bergwacht (im Deutschen Alpen Verein/DAV): Rettung verunglückter im Gebirge


- 1934 Einführung elektrischer Handlampe zusätzlich zur Fackel in der Nacht


- 1943 Inbetriebnahme 1. Skilift Deutschlands am Iseler in Oberjoch


- 1945 Kriegsende, Übergang der Bergwacht in das Bayrische Rote Kreuz, Sonderformation Bergwacht


- 1946 Bau Prototyp zerlegbarer Akja aus Holz. Vorläufer des heute noch verwendeten Akja aus Alu


- 1946 Bergung der Besatzung eines amerikanischen Bombers am Hochvogel


- 1952 1. Rettungskurs am Imberger Horn mit Ludwig Gramminger aus München


- 1958 Erster Bergwachtraum als Depot bei Hannes Finkel in Bad Oberdorf, Baukosten 590 D-Mark


- 1960 Erstes Funkgerät

- 1961 Erster Hubschraubereinsatz, zweites Funkgerät


- 1968 Bau Bergwachtweg für die Gemeinde, im Gegenzug Zuschuss für VW-Bus


- 1968 Erstes Bergwachtfahrzeug, VW-Bus


- 1972 Neue Räumlichkeiten im Keller der Kurverwaltung Bad Oberdorf


- 1972 Erste Seilbahn-Bergeübung an der Hornbahn Hindelang

- 1993 Erstmals tritt eine Frau im Allgäu einer Bergwacht bei – sie schließt sich der Hindelanger Bergwacht an.  


- 2001 Bau der Bergwachthütte am Wiedhag


- 2012 Bau der neuen Bergrettungswache


- 2023 100-Jahr-Feier in Bad Hindelang

 

100-Jahr-Feier am Samstag, 24. Juni:

Zur 100-Jahr-Feier veranstaltet die Hindelanger Bergwacht am Samstag, 24. Juni, ab 11 Uhr einen „Tag der offenen Tür“ für alle Generationen. Dafür wird an der Bergrettungswache ein Festzelt aufgebaut.

Kinder können sich auf eine Hüpfburg, eine Kinderseilbahn und weitere Attraktionen freuen. Für Verpflegung ist gesorgt, abends gibt es viel Musik und einen Bar-Betrieb.

„Wir würden uns sehr über zahlreiche Besucher freuen“, sagt der Bereitschaftsleiter der Hindelanger Bergwacht, Urban Blanz.

 

Hauptprogramm:

11 Uhr – 14.30 Uhr: Unterhaltung mit der Hindelanger Harmoniemusik

15 Uhr – 16 Uhr: Festakt zur 100-Jahr-Feier

16 Uhr – 19 Uhr: Musik mit der Gruppe „Bierspurige“

20:30 Uhr – 2 Uhr: Musik mit den „Allgäu Feager“   

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